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Radio Interview - Projekt RealTheater
Ein Radio-Interview/Radiofeature zum philosophischen Thema „Wie
real ist die Realität“ über den Radikalen Konstruktivismus
und das Projekt RealTheater von Julia Schütz
(Studentenradio bauhaus.fm Weimar)
mit Hans Mack alias Neo von Terra:
Julia Schütz:
Das Modell des RealTheaters basiert auf der Philosophie des Radikalen
Konstruktivismus, wonach wir die Welt nicht einfach vorfinden, sondern
unsere Welten erfinden. Eine dementsprechende Geisteshaltung charakterisiert
der Philosoph und Psychotherapeut Paul Watzlawick in drei Punkten: Das
sind zum einen die Freiheit, seine Wirklichkeit immer wieder neu zu erschaffen,
zweitens verantwortungsbewusstes Handeln, da der Hinweis auf Sachzwänge
oder die Schuld anderer Menschen nicht mehr offen steht und drittens die
Toleranz, auch allen Anderen die Möglichkeit zu geben, ihre Wirklichkeit
frei zu konstruieren. Kann man davon ausgehen, dass die Teilnehmer in
ihrer neu gewählten Rolle freier, verantwortungsbewusster oder toleranter
agieren, als zuvor?
Neo von Terra:
Ja, viel freier, viel toleranter und viel verantwortungsbewusster.
Toleranter und freier - weil man seine Schatten, innere Impulse und Wünsche
ausleben kann, unabhängig von üblichen sozialen oder gesellschaftlichen
Tabus.
Auf der RealTheater Bühne herrscht künstlerische Freiheit. Die
soziale Gruppe akzeptiert hier ein Verhalten, dass im normalen Leben zum
Einsatz von Polizei und Zwangsjacke oder zu ernsten Schlägereien
und echtem Hass führen würde. Wir grinsen nur darüber und
amüsieren uns über die Vielfalt und Buntheit der Möglichkeiten
unserer Spezies.
Verantwortungsbewusster ist es deshalb, weil wir als künstlerisches
Ensemble gemeinsam auf uns alle aufpassen. Die wichtigste Bühnenregel,
neben der Stop-Regel, um zusammen miteinander spielen zu können,
lautet: Keinem darf real etwas Schlimmes passieren, denn dann wäre
das Spiel vorbei und das kann keiner wollen.
Beim Schauspiel ist das Intuitive auf unserer Seite, es ist leicht, diese
Spielregel zu beachten.
Julia Schütz:
Eine der Voraussetzungen für ein positives Ergebnis des Experiments
ist es, dass im Spiel vorwiegend Best-Case-Szenarien geschaffen werden.
Konflikte sollen im Bereich des spielerischen bleiben, da sie durch den
Abstand zwischen ‚realer‘ Person und Rolle unpersönlich
werden. Ist das nun ein Schritt in Richtung Frieden oder einer in Richtung
Eskapismus?
Neo von Terra:
Der Abstand zur eigenen kausalen, historischen und gesellschaftlichen
Person befreit die Handlungsmöglichkeiten und vertieft die Verbindung
zum inneren Kind und den eigenen Wünschen und Impulsen. Deshalb würde
ich das nicht unpersönlich nennen, sondern im Gegenteil sehr persönlich.
Die Schranken, Tabus und mechanistischen Regeln unserer „Metropolis-Welt“
fallen dadurch weg.
Wenn wir Best-Case-Szenarien entwickeln, die
es so noch nie gegeben hat und damit praktisches Know-how erschaffen,
dann ist das ein wichtiger Schritt zum Frieden. Die Methoden des Theaters
und der Simulation passen hierzu perfekt. Das geht auch in Richtung Liebesforschung
und Richtung „struktureller Frieden“, wie die Friedensforscher
Professor Johan Galtung und Professor Dieter Senghaas das nannten.
Eskapismus, heißt Realitätsflucht.
Ich verstehe den Radikalen Konstruktivismus so, dass es keine eindeutige
Realität und keine feste Wahrheit gibt. Diese unsere Wirklichkeit
hier ist deshalb wahr, vor allem in sozialer Hinsicht: meine Rolle, mein
Status, dadurch aber auch mein Besitz etc., weil wir alle so tun als wäre
sie wahr. Das ist wie mit Papiergeld, solange alle so tun als wäre
das wertvoll, solange ist es echt und wertvoll.
Unser kollektives Handeln bestimmt was wahr und
was real ist. Wenn eine Gruppe von Leuten das Theaterspiel und die Welt
die durch RealTheater gemeinsam entsteht, ernster nimmt als die sogenannte
reale Welt, dann wird auch diese Welt real und wirklich. Es gibt Tausende
Gründe unsere heutige Welt nicht mehr ernst zu nehmen mit all der
Absurdität, den Atomwaffen, vielen Politclowns an den Fäden
der Lobbyisten und der Umweltvernichtung.
Friedensforschung in Verbindung mit Kunst und
Philosophie bedeutet konkrete und praktische Alternativen zu entwerfen
und RealTheater sehe ich hierzu mit der Gruppenarbeit und der Idee eines
Friedensdorfes oder einer künftigen experimentellen Friedensstadt
als ein soziales Saatkorn, ein Grundstein, wenn es klappt.
Man kann das Realitätsflucht nennen, aber
es ist auch Realitätsgestaltung, also das Gegenteil von Flucht. Es
geht darum, dass es nicht die eine Realität gibt, es gibt mehrere
und das ist gut so.
Das Monopol, wie das zum Beispiel auch unsere Tagesschau verbreitet, ist
eine Schimäre, eine Teilwahrheit, die als ganze Wahrheit verkauft
wird. Ich warte hier auf den globalen Lachkrampf, um aus der egozentrischen
Geldzeit zu erwachen und auf unserem blauen Raumschiff Terra endlich das
Spielen miteinander anzufangen.
Das Leben sollte ein Spiel für alle sein,
oder wie Helmut Kohl das mal spöttisch nannte: ein kollektiver Freizeitpark.
Genau das möchte ich.
Die Roboterarmee steht in etwa 10 Jahren bereit um uns zu versorgen wenn
meine Spezies miteinander Frieden schließen würde. Stichwort:
Globalmarshallplan, Öko Zeitalter, Paradigmenwechsel, Industrie 4.0.
Ich behaupte das jetzt mal ganz klar und vertraue
auf die besseren Argumente: Ich finde die Kunst, das Theater, die Langzeitimprovisation
im Sinne von RealTheater ist die bessere und lebenswertere Welt und sollte
als Lebensmodell unser heutiges sogenanntes normales Sozialsystem und
das egozentrische Lebensmodell ablösen. Ich gehe sogar so weit zu
sagen, es lebt sich besser, wenn man nicht eine einheitliche Rolle darstellen
muss, sondern gesellschaftlich anerkannt so frei sein kann, wie zum Beispiel
Hape Kerkeling oder Anke Engelke in ihren TV-Rollen mit vielen völlig
verschiedenen Figuren.
Wir sind das alles. Der Philosoph Richard David
Precht hat ein Buch mit dem Titel geschrieben: „Wer bin ich, und
wenn ja wie viele?“, und mir fällt hier ein Spruch der Rockband
„Talking Heads“ ein: „We dont wan´t just one cake,
we want the whole fucking bakery“. Wir wollen keine einzelne Marionette
sein, wir wollen das ganze Theater!
Julia Schütz:
Der Erläuterungstext zum Projekt RealTheater trägt die Überschrift
‚Nur für Verrückte‘. Halten Sie es für möglich,
dass eine langfristige Teilnahme am Experiment die Entwicklung eines schizophrenen
Charakters begünstigt oder gar provoziert? Welche Folgen hätte
das Ihrer Einschätzung nach?
Neo von Terra:
Der Begriff: „Nur für Verrückte“ im Buchtitel soll
neugierig machen und bezieht sich auch auf eine Passage zum Magischen
Theater aus dem Buch „Der Steppenwolf“ von Hermann Hesse.
Wer mein Buch liest, der erkennt, dass es genau umgekehrt gemeint ist.
Unsere heutige Welt ist wohl eher die verrückte Welt, durch Finanzkrise,
Diktaturen, Dogmen, Lügen, den 3. Weltkrieg Arm gegen Reich usw.
In der ganz normalen Welt wird die Entwicklung
zur Schizophrenie immer intensiver. Es geht uns doch in ganz vielen Punkten
so wie im Märchen: „Des Kaisers neue Kleider“. Jeder
sieht dass Politik die Hauptprobleme nicht löst, wir aber machen
so weiter. Jeder will die Liebe im persönlichem Leben, gleichzeitig
behandeln wir unseren Nächsten oft cool oder ängstlich als wäre
er Godzilla. Wer wirklich die Wahrheit sagt, im Job, in einer Talkshow
oder in der Einkaufsstraße, der braucht ein schnelles Pferd.
Durch die Unterdrückung der echten inneren
Wahrnehmung fördern wir Janusköpfe und psychische Krankheiten,
wie z. b. Leute mit Tourette Syndrom, die die Kommunikations-Unterdrückungsmechanismen
einfach nicht mehr aushalten.
Diese unsere normale Welt fördert die Schizophrenie. Beim RealTheater
jedoch können wir endlich authentisch wieder das ausdrücken,
was in uns ist. Wir können laut denken, das fördert die Einheit
im Menschen und ist ein äußerst befreiender und humorvoller
Akt, wie im Schauspielunterricht üblich.
Julia Schütz:
Der konstruktivistische Philosoph Ernst von Glasersfeld hat die These
aufgestellt, dass die ‚wirkliche‘ Welt sich ausschließlich
dort offenbart, wo unsere Konstruktionen scheitern. Im RealTheater wird
davon ausgegangen, dass das auch auf unsere Identitäten zutrifft.
Aber sind wir nicht mehr, als wir wählen oder begreifen und somit
verändern können?
Neo von Terra:
Wenn unsere Konstruktionen zusammenbrechen, dann sehen wir plötzlich,
dass es nur eine Konstruktion war und dass dahinter viel mehr durchschimmert.
Vielleicht ist es wie mit einem bunten Legokasten. Wenn ein Turm zusammenfällt,
den wir für die ganze Welt gehalten haben, dann sehen wir plötzlich,
dass nicht der Turm die Welt ist, sondern das Spielfeld ist die Welt.
Zigtausende bunte Legosteine, soweit wir sehen und wir können damit
immer wieder neue Welten und Charaktere bauen.
Es geht darum zu erkennen, dass wir nicht die
Objekte und Spielfiguren sind, die wir schaffen, sondern dass wir die
Regisseure, die Hände und Augen sind, die das auswählen, aber
letztlich sind wir beides, Spieler und Beobachter. Aber nur wenn sich
Hände und Augen verbünden, dann können wir ein gemeinsames
Spiel organisieren und die „Affengewalt“ auf Terra stoppen.
Ich meine das ganz ernsthaft als Schauspielehrer, Philosoph und Friedensaktivist.
Julia Schütz:
Bisher haben psychologische Experimente, wie etwa ‚The Third Wave‘
oder das ‚Stanford-Prison-Experiment‘, eher eine scheinbar
im menschlichen Unterbewusstsein verankerte Macht- und Habgier offenbart.
Welche sozialen Strukturen werden sich voraussichtlich herausbilden, wenn
jeder seine Rolle frei wählen kann? Kann es auch hier zu Gewaltausschreitungen
und Kontrollverlust kommen?
Neo von Terra:
Diese Projekte haben gezeigt, dass eine Simulation real werden kann, wenn
sie stimmig ist und länger läuft. Beides waren Worst-Case-Simulationen.
Ich halte es für äußerst wahrscheinlich, dass in einer
Best-Case und „Was wäre wenn Vorlage“ auch Best-Case
als Ergebnis herauskommt. Vor allem haben wir hier ja einen ganz anderen
Aufbau eines Projekts. Wir haben Sicherheitsmaßnahmen, die sich
bereits in Zigtausenden Schauspielunterrichtsgruppen seit vielen Jahrzehnten
bewährt haben. Der Mensch ist weder schlecht, noch gut, er ist beides,
ein echter Januskopf. Wenn man jemanden wie Romeo und Julia behandelt,
dann bekommt man den Spirit von Romeo und Julia und Liebesszenarien. Wenn
man das Diener/Herr bzw. das Sado/Maso Spiel spielt, mit Gefangenen und
Wärtern, dann bekommt man auch Sado/Maso heraus.
Zu Gewaltausschreitungen und Kontrollverlust
ist zu sagen, es gelten die Regeln des Schauspielunterrichts. Es darf
zu Gewaltausschreitungen kommen, die Gewalt bleibt aber im emotionalen
Erleben und wird nicht real zerstörerisch. Die 10 cm Abstandsregel
bei Schlagimpulsen, wenn Schauspieler zuschlagen, entspricht übrigens
der Muskelstarre des Träumenden während des REM-Traums.
Es gibt nichts auf der Welt, was ich kenne, wo ein Kontrollverlust so
unwahrscheinlich ist wie im Schauspielunterricht bei den gemeinsamen Improvisationsübungen,
denn gerade dadurch, dass alles expressionistisch ausgelebt werden kann,
was da ist, dadurch staut sich keine Spannung auf, die im normalen Leben
im Sinne: „Das Fass läuft über“ zu Gewaltexplosion,
Kriminalität und Krieg führt.
Julia Schütz:
Wie wird die Grundversorgung der Teilnehmer gewährleistet und inwiefern
müssen sie sich bedürfnisorientiert selbst versorgen?
Neo von Terra:
In einem richtig gut organisiertem RealTheater, das in der längsten
Form bis zu 4 Monate dauern könnte, und bei optimalem Gelingen in
eine nachhaltige Gemeinschaft münden würde, muss die Versorgung
gesichert sein, wie bei einem Workshop oder einem Filmset. Es ist wie
in der Natur, spielen kann man erst, wenn man grundversorgt ist.
Julia Schütz:
Wo und wie kann man sich als Sponsor und/oder Teilnehmer des Projekts
bewerben?
Neo von Terra:
Via E-Mail: (x-art@web.de) bzw. über www.realtheater.de .
Auf der Internetseite gibt es auch eine Kontonummer für Spenden.
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